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Rollenaspekte

Ein kleiner Überblick an Rollen- und Rollenaspekten,
die für einen Ausstieg wichtig werden können

 

Es gibt 3 Rollen, die in einem Ausstiegsprozess hauptsächlich zum Tragen kommen:

 

Opfer

Mittäter

Täter

Eine Person kann durchaus mehrere Rollen tragen, die sich im Laufe der Zeit auch unter Umständen verändert haben können. Es kann eine Gewichtung der Rollen geben. Und es existieren Mischformen/ Zwischenformen dieser Rollenbereiche.

 

Opfer

Zu der Rolle des Opfers gehören zweilerlei Aspekte, die ich für wichtig halte:

1.Die eigene Opferrolle
2.Die Opferrolle eines anderen

1. Die eigene Opferrolle

Damit ist das erlebte Leid gemeint, das dieser Person am eigenen Körper, an der eigenen Psyche, wiederfährt.

2. Die Opferrolle eines anderen

Hier meine ich Situationen, in denen die Person, die selbst zum Gewaltopfer wurde, gleichtzeitig die Funktion eines Augenzeugen (eines Mitwissers) einnimmt, aufgrund der Beobachtung, wie eine andere Person Gewalt erlebt.

Gerade in dem Rahmen der organisierten und rituellen Gewalt kommt es häufiger vor, dass Opfer miterleben müssen, wie auch anderen Personen Gewalt angetan wird, denn es geht hierbei um Gruppierungen, bei denen es mehrere Täter und mehrere Opfer gibt, und wo ein Opfer manchmal alleine einer Gewaltsituation ausgesetzt ist, doch oft sind ebenfalls weitere Opfer anwesend und somit ist es gut, sich mit diesem „Doppelaspekt“ der Opferrolle zu beschäftigen.

Denn beide Aspekte können äusserst belastend sein.

Wie würden Sie die folgende Frage beantworten:

„Was ist schlimmer? Selbst Gewalt zu erleben oder zusehen zu müssen, wie jemand anders Gewalt erlebt?“

Meine Antwort: Beides ist schlimm. Beides kann vielerlei Emotionen und nachhaltige Folgen mit sich bringen. Ich persönlich habe es in einigen Situationen als Schlimmer empfunden, mit ansehen zu müssen, wie andere Personen leiden mussten, als selbst Gewalt zu erleben und manchmal war es genau umgekehrt. Auf die Frage, was also schlimmer ist, kann ich sagen, dass sich das subjektive Erleben hier von einer zur anderen Situation verändern kann, und dass man das Eine nicht einfach so mit dem Anderen Vergleichen kann, denn das Eine ist auf die eine Weise schlimm und das Andere ist auch schlimm – nur anders.

Und es ist gut, beides zu betrachten und mit den Auswirkungen davon, umgehen zu lernen.

 

Welche Auswirkungen kann es bei betroffenen Personen geben?

Hilflosigkeit, Ohnmacht, Verfestigung der Opferrolle (erhöhte Kontrolle und Macht der Täter, doppelte Ebene der Gewalt/ des Opfersein: eigenes Leid UND Leid des anderen), schlechtes Gewissen: ich habe nicht helfen können, ich konnte das Leid nicht verhindern, u.v.m.

Welche Chance bietet die Auseinandersetzung mit diesem Doppelaspekt
im Ausstiegsprozess?

Für Betroffene: Mit allem, was Du weisst, was Dir bewusst wird, kannst Du einen besseren Umgang finden, Du kannst nach Worten für das Erlebte suchen und das Erlebte einordnen, Du kannst Gedanken und Emotionen einen Platz geben und Dich mit den eigenen Reaktionen auseinandersetzen.

Du kannst verstehen lernen, warum Du Dich in einer Situation z.B. nicht mehr bewegen konntest und nicht in der Lage warst, Hilfe zu holen und Dich zu wehren.

Das alles sind einige Beispiele für Prozesse, die Dir helfen können, Schritt für Schritt aus dieser Erstarrung und Sprachlosigkeit, aus dem Gefühl der Hilflosigkeit und der Opferrolle wieder herauszukommen.

Die Auseinandersetzung mit der Tatsache, dass Du selbst Gewalt erlebt hast und Dir (und anderen) in manchen Situationen nicht helfen konntest – mit allem, was das bei Dir auslöste – wird Dich in einen Heilungsprozess führen, weil eine Opferrolle veränderbar ist und weil Du die Chance hast, umzudenken und neue Verhaltensweisen einzuüben.

Du kannst lernen, auch in schwierigen Situationen handlungsfähig zu sein. Du kannst lernen Dich zu schützen und zu wehren. Du musst nicht länger Opfer und hilflos und bewegungslos bleiben. Du kannst Dich verändern!!!

Weiter kannst Du das Wissen als Augenzeuge nutzen, um zu einem späteren Zeitpunkt evtl. Kontakt zu anderen Betroffenen aufzunehmen. Es gibt viele Wege, wie man als Betroffene versuchen kann, sich mit der eigenen Geschichte auseiander zu setzen und manchen hilft es im Laufe dieses Prozesses, sich mit anderen Personen zu treffen und zu unterhalten, die in irgendeiner Weise mit dem Erlebten zu tun hatten. Manchmal hilft das, um mit der Vergangenheit einen Abschluss zu finden und manchmal wirkt es beruhigend, zu erfahren, wie die Lebensgeschichte bei anderen Betroffenen, die man von früher kennt, weiterging und auch das kann sehr ermutigend und heilsam werden.

Schliesslich können andere Betroffene als Zeuge benannt werden, um ihnen zu einem späteren Zeitpunkt möglicherweise Hilfe zukommen zulassen, um weitere Straftaten und Täter aufhalten zu können und um die eigene Glaubwürdigkeit zu stärken. Dies kann ebenfalls viele Vorteile bieten.

So kann aus einem Aspekt, der in der früheren Gewaltsituation an sich erstmal viel Negatives auslöste, zu einem späteren Zeitpunkt viel Positives geschöpft werden.
Und das ist ziemlich gut!!!

 

Für Helfer: Ich würde mir wünschen, dass Hilfspersonen diese beiden Aspekte der Opferrolle in den Blick nehmen und im Beratungsprozess ansprechen. Dadurch können Sie Verständnis und Mitgefühl signalisieren für die verschiedenen Gewaltebenen die durch solche Rollenaspekte entstehen und den Betroffenen zu differenzieren helfen:

 

„In der Situation als Opfer/ Augenzeugin hattest Du keine Chance einzugreifen.
Es ist schlimm, dass auch andere Personen leiden mussten, doch es war nicht Deine Aufgabe, andere zu schützen und die Gewalt zu verhindern, denn Du warst selbst Opfer. Was wäre denn passiert, wenn Du eingegriffen hättest? Was hättest Du denn tun können?“

„Du warst damals noch ein Kind. Du warst nicht zu dumm oder schwach, um Dich gegen einen erwachsenen Mann zu wehren. Du hattest überhaupt gar keine Chance. Es ist nicht Deine Schuld, dass das alles passierte.“

Es geht hierbei also sehr stark, um die Wahrnehmung von Situationen und Gefühlen, um die eigene Wahrnehmung und die eigenen Grenzen sowie um die Unterstützung bei Gefühls- und Gedankenchaos: Schuld- und Schamgefühle, Hilflosigkeit, Ohnmacht, „hilflose“ Wut. Alles das muss sowohl in der eigenen Opferrolle, als auch in der Rolle als Augenzeuge/ Mitwisser wahrgenommen und angesprochen werden und seinen Platz bekommen. Denn beide Aspekte wirken sich auf die Betroffenen aus und beinhalten unterschiedliche Reaktionen und Belastungen, die betrachtet werden sollten, um Fortschritte und Heilungsprozesse einleiten zu können.

 

Fazit:

Personen, die im Laufe ihres Lebens durch Gewalterfahrungen und durch gezielte Manipulationen/ Trainingsprozesse in eine Opferrolle hineingepresst wurden, sind Menschen. Sie wurden nicht bereits als Opfer geboren, sondern sie wurden zu Opfern gemacht. Eine Opferrolle hat sich im Laufe der Zeit also entwickelt. Doch diese Entwicklung ist veränderbar. Der Mensch „hinter dieser Rolle“ ist mehr als das: der Mensch ist ein denkendes Wesen, das Fühlen und sich verändern kann. Menschen können sich aus einer Opferrolle wieder herausbewegen und andere Rollen, neue Rollen annehmen. Personen, die einmal zum Opfer (gemacht) wurden – auch dann wenn dies bereits in jungen Jahren begann, auch dann wenn dies über einen längeren Zeitraum anhielt – müssen nicht Opfer bleiben.

Für Betroffene:

Du kannst Dich verändern. Du kannst an Deiner Situation, an Deiner Wahrnehmung arbeiten. Du kannst lernen Dich zu schützen und gut für Dich zu sorgen. Du musst nicht immer Opfer bleiben. Du kannst Dich verändern und eines Tages wirst Du dann aus der Opferrolle heraustreten und tatsächlich keine Gewalt mehr erleben. Das ist möglicherweise ein längerer Prozess. Doch vielleicht wirst Du schon bald erste kleinere Erfolge sehen, wenn Du Dich nur auf den Weg machst und beginnst, Dich mit der eigenen Situation auseinander zu setzen und falls Du noch immer gewaltvolle Situationen erleiden solltest, kannst Du lernen, Dich von denen zu distanzieren, die Dich nicht gut behandeln.

Für Helfer:

Halten Sie sich bei dem ganzen Leid und den sichtbaren Auswirkungen der erlebten Gewalt bitte vor Augen, dass dies nur ein kleiner Teil ist, der zu dieser Person gehört. Denken Sie auch an die Stärken, das Wissen, die kostbaren Erfahrungen und die Fähigkeiten, die diese Person mit sich bringt und in sich trägt. Versuchen Sie Wege zu finden, wie dieses Potenzial wieder zum Vorschein kommen kann und zum Heilungsprozess der Betroffenen beitragen kann. Und geben Sie den Betroffenen neuen Lebensmut, in dem Sie Ihnen als Fachpersonen versichern:

Vieles ist veränderbar. Nicht alles ist umkehrbar. Nicht alles wird gut. Aber einiges kann man erreichen. Einiges wird sich verbessern und vieles ist eine Momentaufnahme und geht vorbei. Und mit der Zeit werden diese Veränderungen sichtbar und spürbar und es wird Platz für Neues und Schönes sein.

 

Mittäter

Die Mittäterschaft

Ich möchte die Rolle des Mittäters mal Folgendermassen unterteilen:

(Diese Unterteilung ist eine „Eigenkreation“, beruhend auf meinen Beobachtungen und Reflektionen, und soll einfach ein Versuch sein, die Entwicklungen innerhalb solcher Systeme zu veranschaulichen.)

Die erzwungene Mittäterschaft
Die (aktive, passive) Bewegung zwischen den Rollen als Mittäter
Die aktive Mittäterschaft/ Komplizenschaft

 

Die erzwungene Mittäterschaft

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Hinweis für Betroffene:
Die folgenden beiden Beispiel könnten evtl. bei Dir etwas auslösen. Du darfst sie gerne überspringen.


 

Beispiel 1: Einem Kind wird von einem Täter ein Messer in die Hand gedrückt und der Täter sagt dem Kind, dass es damit nun ein Tier töten soll.

Beispiel 2: Einer Frau (Opfer) wird gesagt, wenn Du jetzt bei uns mitmachst und für uns eine Aufgabe übernimmst (auf Kinder aufpassen, die missbraucht werden sollen), dann hat das auch Vorteile für Dich (Wegfall bzw. Minimieren der eigenen Opfersituation, mehr Wahlmöglichkeiten, weniger Schmerz, weitere Belohnungs- und Aufstiegsoptionen können folgen).

 

Ausgehend von einer Person, die als Opfer in diese Gruppierung hineinkam, ist hier also im Laufe der Zeit eine Entwicklung von einem Opfer (zu 100%) zu dem Bereich des Mittäters erkennbar.

Wie Eingangs erwähnt, kann diese Person immer wieder beide Rollen inne haben, es kann eine Gewichtung geben (höherer Anteil am Opfer sein und punktuelle Handlungen/ Aufgaben als Mittäter übernehmen) und es kann zu einer aktiveren Ausübung der Mittäterschaft im Laufe der Zeit geben, so dass sich ein anfängliches Opfer auch zum Mittäter und später sogar zum Täter entwickeln kann.

Ausgehend von einem Mittäter/ Täter soll hier nur angemerkt werden, dass auch hier die Erfüllung von Aufgaben zu einer Vertiefung und Veränderung der jeweiligen Rollen führt.

Wie würden Sie die folgende Frage beantworten?

Wann fängt die Rolle eines Mittäters, eines Mitwissers an? Und ab wann trägt ein Opfer, das zu Handlungen gedrängt oder gezwungen wurde, trotzdem die Verantwortung für dieses Geschehen? (aus moralischer Sicht, aus juristischer Sicht)

 

Die (aktive/passive) Bewegung zwischen den Rollen als Mittäter

Dies ist ein Graubereich, der schwieriger zu beschreiben ist, da hier verschiedene Entwicklungsschritte ablaufen, die von Situation zu Situation und von Gruppe zu Gruppe sowie von Person zu Person unterschiedlich verlaufen können.

In dieser Grauzone ist ein Wechsel von Rollen und Hierarchien (Macht, Unterordnung) charakteristisch. Der Mittäter erhält mehr Verantwortung und Aufgaben, erfährt aber gleichzeitig, dass über ihm in der Hierarchie noch andere stehen, die ihn gut im Auge behalten und die mehr Macht besitzen, als er. Der Mittäter wird von Anführern und Gruppenmitglieder beobachtet und kontrolliert. Er lernt die Möglichkeiten und die Folgen kennen, die ein Rollenwechsel mit sich bringt.

Die Entwicklung eines möglichen Rollenwechsels z.B. in Form einer aktiven – aktiveren Mitgliedschaft/ Komplizenschaft oder das weitere Aufsteigen innerhalb der Hierarchie wird nun konkreter. Von ihm werden Entscheidungen verlangt, die sein Leben nachhaltig beeinflussen werden. Und inwieweit man bei dieser Entwicklung von einer freiwilligen Entscheidung des Gruppenmitgliedes reden kann oder ob man besser von einer kontrollhaften und erzwungenen Rollenentwicklung sprechen müsste, da dies alles ja innerhalb eines Systems stattfindet, das gezielt mit Täuschungsmannövern, mit Druck- Kontroll- und Machtmitteln arbeitet und wo bestimmte Regeln (Gebote und Verbote, Verhaltensmassregeln…) vorherrschen, das müsste meines Erachtens auch noch näher aufgeklärt werden.

Der Mittäter ist also gefangen im System. Wie kann man diese Rolle einordnen?

Ist der Mittäter auch ein Opfer? Ist ein Mittäter erpressbar? Kann ein Mittäter aus seiner Rolle „einfach so“ heraustreten, oder wird er von der Gruppierung durch z.B. Drohungen und Druckmittel gehindert?

„Mitgehangen – mitgefangen“ heisst ein Sprichwort. Wer als Mittäter Wissen über interne Abläufe und Strukturen hat, wer in Folge dieser Rolle Augenzeuge von Straftaten wurde, kann möglicherweise nicht mehr als „unschuldig“ und „passiv“ bezeichnet werden – ist zumindest wissend, eingeweiht in einige Dinge – und je nach Position, Aufgabe und eigener Intension kann ein Mittäter nun immer weiter in die Spirale der Gewalt abrutschen und selbst Straftaten begehen, weiter innerhalb der Hierarchie aufsteigen und zu einem aktiven Gruppenmitglied, also zu einem (aktiven) Straftäter werden.

 

Die aktive Mittäterschaft/ Komplizenschaft

Bei dem Bereich der Mittäterschaft handelt es sich ja um einen Graubereich. Das bedeutet, dass es hier Zwischenformen gibt, die eine mögliche Entwicklung aufzeigen sollen. Die Grenzen zwischen einer Mittäterschaft und einer Täterschaft sind in der Praxis fliessend und müssten weiter differenziert werden zwischen dem persönlichen Erleben einer Person (Innensicht der Geschehnisse: wie ist es dazu gekommen, dass Du in dieser Gruppe geblieben bist und aktiv beteiligt warst?) und den juristischen Definitionen/ Tatbeständen der Verbrechen, die durch eine Mitgliedschaft entstehen bzw. entstanden sind.

Für die aktive Mittäterschaft ist charakteristisch, dass der Mittäter nicht nur „passiv“ angefragt wird, ob er mehr Aufgaben/ mehr Macht haben möchte, sondern dass er immer mehr selbst die Initiative ergreift und internes Wissen anhäuft. Unterschiedliche Motive und Ziele können hier verfolgt werden: das Ziel von einem einfachen Gruppenmitglied zu einem Gruppenführer zu werden, um selbst einen grösseren Einflussradius zu haben, geschäftliche Intensionen (eine Stelle gerne innehaben wollen, Geldverdienst, Erlangung materieller Vorzüge…).

Wer selbst bestraft und unter Druck gesetzt wird, kann durch ein aktives Eingreifen in die Situation zeigen, dass er der Gruppe in einer höheren Positon nützlich ist und kann somit Erniedrigungen und eigene Leiderfahrungen abwenden.

Wer mehr Wissen hat, kann mit reden, mitentscheiden und Prozesse mitlenken, anstatt sich immer nur von anderen herumkommandieren zu lassen.

Es bieten sich also Vorteile, die sich durch eine aktive Teilnahme vermehren lassen und deshalb entscheiden einige Personen: Ich mache mit. Ich werde aktiv. Ich beteilige mich.

Ein aktiver Mittäter oder Komplize zu sein, kann bedeuten bei Straftaten, die andere begehen, zugegen zu sein und als Handlanger zu fungieren. Wenn z.B. eine Person entführt werden soll, könnte ein Mittäter/ Komplize vielleicht der Fahrer des PKW’s sein, womit die zu entführende Person transportiert werden soll und der Täter übernimmt die Entführung der Person an sich.

Wie hoch die Beteiligung des Komplizen an einer Straftat war, wie sehr er an der Planung des Verbrechens beteiligt war usw., kann von Fall zu Fall variieren. Doch eine gezieltere Aktivität als bei einer Person, die eine passivere Rolle inne hat, ist deutlich erkennbar. Und Komplizenschaft und Täterschaft gehen Hand in Hand und können auch parallel ablaufen.

 

Täter

 

Die Täterrolle

Es gibt Personen, die erst später im Laufe ihres Lebens zu einem Täter werden. Und es gibt Personen, die eine Rollenentwicklung – vom Opfer zum Täter – durchlaufen haben.

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Hinweis für Betroffene:

Die beiden folgenden Beispiele können evtl. etwas Negatives bei Dir auslösen. Du darfst sie gerne überspringen.


Beispiel 1: spätere Täterschaft

Ein Freier konsumiert regelmässig kinderpornografisches Material und stellt dies auch selbst her. Im Kontakt mit einem Kinderporno- Produzenten erfährt er, dass man tiefer in das Geschäft „Kinderporno- Produktion/ Kinderhandel“ einsteigen und damit richtig viel Geld verdienen kann. Nun erkundigt er sich bei dem Produzenten, was er machen muss, um in das Geschäft weiter einsteigen zu können. Über diesen Kontakt erfolgt dann Schritt für Schritt der Prozess von einem Konsumenten/ einem gelegentlichen Produzenten von Pornoprodukten zu einem Geschäftsmann, der regelmässige Geschäfte in diesem Bereich abwickelt, der vielleicht einen Bereich verwaltet oder tiefer in den Kinderhandel einsteigt.

Beispiel 2: Wenn ein Opfer zum Täter wird

Ein Junge erlebt Gewalt durch eine destruktive Gruppierung. Er ist Opfer und kann dieser Gruppe nicht entkommen. Je älter der Junge wird, desto mehr werden ihm die Gruppeninterna (Ideologie, Ränge, Regeln, Möglichkeiten…) vorgestellt. Anfangs wird er gezwungen an Verbrechen teilzunehmen und wird dadurch immer öfter zu einem Mittäter. Auch zu diesem Zeipunkt gelingt ihm der Ausstieg nicht. Er wird immer älter und reift zu einem Erwachsenen heran. Nun wird er von der Gruppe unter Druck gesetzt, sich zu entscheiden, ob er Verantwortung in der Gruppe übernehmen möchte. Ihm wird gedroht und gezeigt, dass er eh schon „mit drin“ hängt und immer noch nichts zu sagen hat. Ihm wird gezeigt, welche Vorteile es bietet, wenn er sich jetzt einbringt und die Gruppenziele aktiv unterstützt. Der junge Mann sieht keinen Ausweg (der Druck ist zu hoch, die erzwungene Komplizenschaft hindert ihn an einem Ausstieg, die Vorteile eines Aufstiegs klingen verlockend…). Er bekommt eine Aufgabe und muss sich bewähren. Nach und nach werden nun Situationen geschaffen, in denen er immer tiefer selbst in Straftaten verwickelt ist und keinen Ausweg mehr findet. Er macht mit. Und später hat er sich vielleicht selbst zu einem Täter entwickelt, der nun eine andere Person zu einer Entscheidung zwingt: Du kannst leiden oder Du machst mit. Es hat Vorteile, wenn du bei uns mitmachst. Wie entscheidest Du Dich?

 

 

Oft vergisst man bei Tätern mit einer höheren Position, die aktiv Straftaten begehen und die viel Macht ausüben können, dass auch sie vielleicht mal Opfer waren und zu einer Mittäterschaft gezwungen wurden. Ebenso wird oft verdrängt, dass auch Täter dem „Gesetz der Macht“, dem Gruppenzwang unterworfen sind.

Das heisst nicht, dass man an dieser Stelle falsche Schlusse ziehen sollte: Straftat bleibt Straftat und destruktive Gruppen sollten nicht unterstützt oder verharmlost werden.

Doch es hilft die Macht der Täter aus einem weitsichtigem Blickwinkel zu betrachten und hinter die Motive und die Stellung eines Täters zu blicken, um auch dort den Zwang, den Druck, die Angst, die eigene Erpressbarkeit und die Verzweiflung zu sehen.

Tätersein bedeutet nicht Allmacht zu haben, sondern ein Teil des Systems zu sein.

Und viele Täter bereuen zu gewissen Zeiten im Stillen ihre Entscheidung jemals zum Täter geworden zu sein und den eigenen Ausstieg (noch) nicht gewagt zu haben.

Schlussbemerkung:

Ich persönlich finde, dass die Entwicklung solcher Rollenstrukuren, die dahinterliegenden Erpressungsversuche und die Täuschungen mit denen in solchen Gruppierungen innerhalb dieser Rollen gearbeitet wird, verstärkt beobachtet und diskutiert werden sollten.

Strattäter, die sich aktiv an Straftaten beteiligen und sich in solchen Gruppierungen betätigen, sollten aufmerksam beobachtet, streng verfolgt und hart bestraft werden. Doch Personen, die bereit sind für einen Ausstieg, sollten die Chance und die Unterstützung erhalten, um einen Ausstieg auch zu schaffen und das auch dann, wenn sie selbst bereits eine oder mehrere Straftaten ausgeübt haben.

Mit diesem Erklärungsversuch über die Rollenaspekte möchte ich zu einem differenzierterem Denken einladen: Es gibt nicht nur Opfer. Es gibt auch Augenzeugen, die als Opfer zugegen sind, wenn schlimme Dinge mit anderen Personen gemacht werden. Und das auszuhalten und aufzuarbeiten ist ein längerer Prozess.

Es gibt den Bereich der Mittäterschaft und man kann zu einer Mittäterschaft gezwungen werden und es ist möglich, zwischen den Rollen öfters zu wechseln.

Es gibt Täter, die z.B. aufgrund einer eigenen erzwungenen Opferrolle, zwar später selbst zu Mittätern/ Komplizen werden, die Ideologien der Gruppe und deren Ziele aber innerlich nicht überzeugt mittragen und bei Unterstützungsangeboten von Aussen sofort aussteigen würden. Und es gibt Täter, die sich bewusst zu einer Gruppenzugehörigkeit entschieden haben und die auf die Vorzüge ihrer erarbeiteten Stellung nicht verzichten möchten und die gar nicht aussteigen wollen.

Ich hoffe, dass dieser Blick auf die Rollenaspekte und die mögliche Entwicklung, die ein Leben in einem destruktiven System annehmen kann, zu einem Nachdenken, einem Umdenken und vor allem für mehr Mitgefühl und mehr Verständnis für Aussteiger jeder Art haben kann und die Bereitschaft steigt, sich mit den Rollengefügen weiter auseinander zu setzen und um mehr Hilfsangebote für Opfer, Mittäter und für Täter zu schaffen.

 

Die Rollenweitergabe von Generation zu Generation

Zum Schluss möchte ich noch auf das Problem der Rollenweitergabe von Generation zu Generation in solchen Gruppierungen aufmerksam machen.

Viele Gruppierungen machen sich die kindliche Entwicklung zu nutze, um so früh wie möglich auf diese Entwicklung Einfluss zu nehmen und so bereits Kinder in die Gruppenstruktur, in die Gruppenregeln und in eine (möglichst „freiwilige“) Mitgliedschaft einzuführen.

 

„Die Täter müssen sicherstellen, dass die Überlebenden nicht anfangen,
die Gewalttaten zu offenbaren, wenn sie erwachsen sind und aus der Gegend wegziehen. Außerdem wollen manche Gruppierungen einige ihrer Opfer weiterhin benutzen. Beispielsweise erwarten rituelle Gewalt anwendende Gruppen, dass aus den von ihnen missbrauchten Kindern später erwachsene Kultmitglieder werden, die die Werte und Praktiken der Gruppe an die nächste Generation weitergeben[…]“

(Alison Miller, Jenseits des Vorstellbaren: Therapie bei Ritueller Gewalt und Mind- Control, Johanna Ellsworth (Kröning: Asanger Verlag, 2014), 182)

 

Das bedeutet, dass ein Vater, der einst selbst als Junge Opfer war, und sich im Laufe seines Lebens zu einem aktiven Gruppenmitglied entwickelte, nun in der Rolle des Vaters seine Kinder viktimisiert (zum Opfer macht) und ihnen von Kleinauf beibringt und vorlebt, wie sich seine Kinder zu verhalten haben. Die Kinder werden gelobt und zur Fortführung ermutigt, wenn sie gehorsam sind und sich den Gruppenstrukturen konform verhalten. Die Kinder werden bestraft, wenn sie dies nicht tun. Die jeweiligen Gruppenrituale, die Ideologien und die Verhaltensregeln werden regelmässig und wiederholend an die Kinder weitergegeben und darauf geachtet, dass die verinnerlicht und übernommen werden.

So entstehen Werte, Normen und Lernentwicklungen, die die Kinder von Anfang begünstigend für die Gruppenzwecke- und Ziele prägen.

Je früher im Leben eines Menschen mit einer solchen Prägung begonnen wird, desto leichter ist es, diesen Menschen zu lenken und aus ihm ein gefügiges Opfer oder ein loyales Gruppenmitglied zu machen.

Personen aus dem Umfeld des Kindes, die es von Kleinauf kennenlernt, zu denen es eine Beziehung aufbaut und in einem Abhängigkeitsgefüge zu ihnen steht, beobachten die Entwicklung des Kindes und nehmen gemeinsam mit dem Vater (in diesem Beispiel dem Vater, doch es können auch andere Personen wie Grossväter, Onkel, Nachbarn…sein) entscheidenden Einfluss auf das Leben des Kindes. Sie können gemeinsam Kontrolle über die Kontaktgestaltung des Kindes (z.B. Schulfreunde) und seiner Freizeitbeschäftigungen ausüben und bereits den Kindern verdeutlichen: „Wir sehen Dich. Wir wissen was Du tust. Und wenn Du Dich nicht so verhältst, wie wir das wollen, dann werden wir Dich bestrafen. Denk gar nicht erst, dass Du uns entkommen kannst. Du gehörst zu uns. Wir gehören zusammen und „da draussen“ versteht Dich eh keiner. Niemand wird Dir glauben, wenn Du von unserer Gruppe sprichst. Also lass es lieber. Denn Du gehörst ja eh zu uns…“

Durch ein solches Aufwachsen, bei dem das Kind von Anfang an eine „Übermacht“ der erwachsenen Gruppenmitglieder erfährt, die auch ganz gezielt eingesetzt wird, um das Kind zu manipulieren und „im Sinne der Gruppe zu erziehen“, werden Kontakt- und Fluchtmöglichkeiten nach Aussen gezielt geschwächt und unterbunden, was ein Hilfe holen von Personen ausserhalb des Systems sowie Ausstiegsversuche zu einem recht frühen Zeitpunkt unterbinden soll und erschwert.

Kinder, die so aufwachsen, sind also an die Gruppe gebunden, haben in der Regel wenige „normale“ Anlaufstationen und erleben oft die Gruppenstrukturen als „normal“, weil ihnen dies so beigebracht wurde. Sie dürfen sich nicht (oder nicht nur) normal entwickeln, sondern ihnen wird speziell das gruppenkonforme Verhalten – z.B. eine Opferrolle – aufgezwungen, in die sie mehr und mehr hineingepresst werden und die sie dann verinnerlichen, in ihrem Denk- und Verhaltensmuster übernehmen und dies alles evtl. ebenfalls an andere weitergeben. Je älter die Kinder nun werden, je länger sie dem Einfluss der Gruppenmitglieder ausgeliefert sind, desto tiefere Prägungen entstehen.

Der Kreislauf der Gewalt, der in diesem Beispiel bei der Kindheit des Vaters ansetzte, der vermutlich von seinem eigenen Vater zum Opfer gemacht wurde und nun das Erlernte wiederum an seine Kinder weitergibt, wird sich auch in den folgenden Generationen fortsetzen, es sei denn dieser Kreislauf wird unterbunden.

In solchen Gruppierungen gilt oft der Grundsatz: Die Weitergabe von Generation zu Generation ist die sicherste Methode die eigene Gruppe zu stärken und zu schützen.

Denn solche Opfer, die „von Geburt an“ bereits Opfer sind und es auch gar nicht anders kennen, sind die gefügigsten und trainierbarsten Opfer. Sie können vielfältig eingesetzt werden, machen weniger Fluchtversuche/ haben weniger Widerstandskraft und man kann sie leichter in täterloyale Positionen hineinbringen.

Und die Täter, die schon seit Generationen mit dabei sind, sind am verlässlichsten, denn man kennt ja ihre Herkunft und Entwicklung sehr genau. Sie haben Fähigkeiten entwickelt und an ihre Kinder weitergegeben und mehrfach gezeigt, dass sie nützliche Gruppenmitglieder sind und es ist unwahrscheinlicher, dass hier jemand aussteigen möchte, da auch die „Familienbande“ hält und ein Ausstieg bedeuten würde, sehr hohe Verluste in Kauf nehmen zu müssen und sich z.B. gegen die eigenen Familienmitglieder/ Verwandten stellen zu müssen.

Deshalb setzen solche Gruppierungen sehr auf das generationsübergreifende Arbeiten und das bedeutet, dass es häufiger vorkommt, dass destruktive Systeme auf dieser generationsübergreifenden Basis betrieben werden.

Dies zu wissen, kann helfen die Situation von Opfern, Mittätern und Tätern besser zu verstehen. Helfer können Betroffene hierzu befragen und die Probleme, die dadurch entstanden sind (der Aussteiger muss den Kontakt zu Familienmitgliedern abbrechen…), zu beleuchten und hilfreiche Umgangsweisen zu erarbeiten. Betroffene, die hören, dass es auch anderen so geht, fühlen sich oftmals verstanden und getröstet. Sie verstehen, was da mit ihnen gemacht wurde und warum die Täter sich so verhielten. Das hilft, die eigene Geschichte einzuordnen, das eigene Verhalten zu verstehen und zu lernen, wie man zukünftig – auch ohne die Gruppe und Kontakte zu Gruppenmitgliedern – leben kann.

Schlusswort

Ich wünsche Aussenstehenden, dass sie die Komplexität und die Raffinität solcher Systeme ins Blickfeld nehmen können.

Ich wünsche mir, dass Helfer über diese Strukturen und die Bedeutung des Aufwachsens in generationsübergreifenden Gruppierungen nachdenken und die Prägungen der verschiedenen Rollenaspekte auf die Entwicklungsprozesse des einzelnen Menschen sowie auf die Ausstiegsgestaltung vermehrt achten, um hier Abhilfe zu schaffen. Eine effektive Ausstiegsbegleitung sollte sich meines Erachtens möglichst nahe an dem Erleben, an den Erfahrungen von Betroffenen orientieren und durch ein verständnisvolles Wissen geprägt sein, das der intensiven Auseinandersetzung mit den Erfahrungen eines solchen Gruppenerlebens entspringt.

Und Betroffenen wünsche ich, dass sie erkennen, welche Rollen und Erfahrungen sie im Laufe ihres Lebens innerhalb der Gruppe machen mussten und aus diesem Wissen nun lernen können, dass sich Betroffene nicht durch Drohungen der Gruppenmitglieder abhalten lassen, ihren Ausstieg fortzusetzen und sie Schuldgefühle, Angst und Ohnmacht überwinden lernen und allmählich neue Rollen und Gruppen kennenlernen, in denen es keine Macht und Unterwürfigkeit sondern ein Gegenseitig, ein Nebeneinander, vielleicht auch ein Miteinander geben kann. Ich wünsche euch, dass ihr gewaltfreie Kontakte kennenlernt und vertiefen könnt und ihr auf Helfer trefft, die wissen, dass es diese unterschiedlichen Rollen in solchen Gruppen gibt und welche Probleme dies mit sich bringt. Ich wünsche euch, dass ihr auf Hilfe und Verständnis stosst.

 

Persönliches

Ich wurde schon oft gefragt: „Was war das Schlimmste, das Du erlebt hast?“

Diese Frage ist schwer zu beantworten, denn ich selbst hatte viele Erfahrungen, die schlimm waren und einiges hatte eine weitreichende Nachwirkung auf mein Leben.

Doch nicht nur die Vielzahl der Erfahrungen oder Folgen davon bzw. die persönliche Bewertung machen die Beantwortung dieser Frage so kompliziert, sondern auch das Wissen um die verschiedenen Rollen, in denen ich das Leid erlebte.

Wie soll ich denn das Mass ansetzen, wie soll ich messen, was nun Schlimmer war:
selbst Gewalt zu erleben oder mit ansehen zu müssen, wie jemand anderes Gewalt erlebt?

Wie soll ich die Wirkung des Erlebten Leides eines anderen, das mich bewegt und getroffen hat, messen und mit dem Vergleichen, wie es mir in einer ähnlichen Situation mit dem erlebten Leid erging?

Ein Vergleichen dieser Erlebnisse, dieser unterschiedlichen Situationen, ist mir gar nicht möglich und deshalb kann ich nicht sagen: es ist schlimmer, selbst Opfer zu werden, als zu zu sehen, wie andere leiden müssen. Nein. Das kann ich nicht. Und deshalb kann ich diese Frage so gar nicht beantworten. Würde der Fragesteller hier differenzieren und sich erkundigen zu welchem Bereich, zu welcher Rolle es eine schlimme Erfahrung oder die schlimmste Erfahrung für mich gibt, wäre dies etwas leichter.

Ich bin froh über jede Person, die anfängt Fragen zu stellen und sich für Antworten von Betroffenen interessiert. Und ich möchte nochmals um ein vielschichtiges Denken, um eine tiefere Auseinandersetzung und um ein grösseres Verständnis und Mitgefühl für Betroffene werben, denn die Erlebnisse sind komplex, die ein Missbrauch in solchen Gruppensystemen mit sich bringt und das Aussteigen aus solchen Systemen erfordert viel Kraft, so dass Betroffene auf die Unterstützung von interessierten und versierten Helfern und Begleitern angewiesen sind.

Lasst uns also alle zusammen eine gute Arbeit leisten, in dem wir uns gut informieren, uns mit der Problematik aber auch mit Lösungsmöglichkeiten auseinandersetzen und lasst uns dieses Wissen, diese Erfahrungen bündeln, um Menschen zu helfen, damit sie

gut bescheid wissen
besser verstehen stehen lernen
Betroffene in ihrem Ausstieg gut begleiten können.

 

Vielen herzlichen Dank für Ihre/ Eure Aufmerksamkeit!

 

Vanessa Lehmann(c), November 2014
www.mut-zum-ausstieg.de

veröffentlicht am 26.01.2015

 

Literaturangaben

Literatur

Miller, Alison. Jenseits des Vorstellbaren: Therapie bei Ritueller Gewalt und Mind- Control, Johanna Ellsworth. Kröning: Asanger Verlag, 2014.

Links

http://www.rechtswoerterbuch.de/recht/t/taeter/

http://www.rechtswoerterbuch.de/recht/m/mittelbare-taeterschaft/

http://www.rechtswoerterbuch.de/recht/t/teilnehmer/

http://de.wikipedia.org/wiki/T%C3%A4ter_%28Strafrecht%29