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Risikofaktoren

Risikofaktoren

Was einen Ausstieg so gefährlich macht

 

Dieser Artikel behandelt die folgenden Fragen:

Was kann einen Ausstieg so gefährlich machen?

Wie reagieren Gruppenmitglieder auf Ausstiegsversuche?

Was können wir in Deutschland tun, um Aussteiger zu schützen und zu unterstützen?

In diesem Artikel möchte ich auf Situationen hinweisen, die für einen Aussteiger gefährlich werden können, denn für einen Ausstieg scheint es charakteristisch zu sein, dass es Momente gibt, in denen sich eine Situation zu ziehen kann und manchmal sogar das Leben eines Aussteigers in Gefahr geraten kann, und dann wiederum entstehen Phasen, in denen sich eine Bedrohung legt und sich eine Situation wieder entspannen kann.

Ich denke, dass hierbei verschiedene Faktoren eine Rolle spielen können. So sehe ich das Wechselspiel von Spannung und Entspannung zum Einen darin begründet, dass es eben grundsätzlich zu den kriminellen Aktivitäten gehört, dass Situationen nicht immer gleich bleiben, sondern sich verändern und je nach aktueller Lage dann auch spontan auf eine bestimmte Entwicklung reagiert werden muss. Zum Anderen ist natürlich das Insiderwissen über kriminelle Aktivitäten und Personen entscheidend, die ein Aussteiger nun mal hat und im Rahmen eines Ausstiegs nun möglicherweise nach Aussen tragen könnte und somit einzelne oder sogar mehrere Täter hierdurch in Schwierigkeiten bringen würde.

Die Momente, in denen sich Situationen zu ziehen und entspannen können, wechseln sich also aus verschiedenen Gründen immer und immer wieder miteinander ab. Dies zu erkennen und bei seinen Ausstiegsplänen bzw. in der Ausstiegsbegleitung zu berücksichtigen, kann im Ausstiegsprozess entscheidend werden.

Deshalb ist es gut, wenn Helfer hierum wissen und sich Betroffene in ihren Ausstiegsbemühungen sowohl von ihrer Intuition (die meisten haben ein feines Gespür für aktuelle Entwicklungen und Gefahren und es ist klug, darauf zu hören), als auch von ihrem Wissen und ihren Beobachtungen der aktuellen Entwicklung leiten lassen.

Welche Faktoren können einen Ausstiegsversuch gefährden und weshalb ist es so schwierig, sich aus einer gewaltvollen Gruppierung heraus zu arbeiten?

Hierzu zählen meines Erachtens folgende Momente:

  • Die innere Distanz wird von Gruppenmitgliedern bemerkt
  • Ein Aussteiger hat durch eine Aussage oder ein konkretes Verhalten deutlich gemacht, dass er dabei ist, auszusteigen.
  • Es gibt eine andere Person, die zeitgleich versucht, auszusteigen.
    In einem aktuellen Ermittlungsverfahren wurde der Aussteiger als Zeuge benannt.
  • Spontane Entwicklungen, die die Aktivitäten der Gruppe gefährden, wie z.B.:
    – Ein Drogenlager/ Versteck wird zufällig entdeckt.
    – Ein Gruppenmitglied fliegt auf oder es wird aus sonstigen Gründen polizeilich beobachtet, ermittelt, verhaftet.
    – Gesetzliche Veränderungen führen zu einer „Zuspitzung“ der Situation.
  • Die persönliche Haltung bzw. die Fähigkeiten eines Aussteigers
    – Möchte die Person alleine aussteigen oder versucht sie auch andere mit raus zu ziehen?
    – Wird diese Person über ihr Insiderwissen schweigen oder sie hat vor, dies an andere weiterzugeben?
    – Bringt diese Person Eigenschaften mit wie Überzeugungsfähigkeit, Glaubwürdigkeit, berufliche Qualifikationen ober Beweismittel?

Die innere Distanz wird von Gruppenmitgliedern bemerkt

Aussgehend von der These, dass ein Ausstieg innerlich beginnt, mit gedanklichen Veränderungen und der Einnahme einer zunehmend kritischen und anzweifelnden Haltung gegenüber dem Geschehen innerhalb der Gruppierung, geht die Person, die gerne aussteigen möchte, also innerlich auf Distanz.

Vielleicht verhält sie sich nun anders als zuvor, indem sie zögerlich oder widerwillig einen Befehl ausführt oder sogar offen anmerkt, dass ein bestimmtes Vorhaben zu weit geht und sie dies nicht gut heisst, indem sie Gruppentreffen versäumt oder unerwünschte Fragen aufwirft, usw.

Wie auch immer sich diese Veränderungen zeigen, sie werden an irgendeinem Punkt von Gruppenmitgliedern bemerkt und das führt dazu, dass diese Person von den Gruppenmitgliedern genauestens beobachtet wird und durch Nachforschungen und Kontrollmassnahmen versucht wird, dieser Entwicklung entgegen zu wirken.

Ein solcher Moment kann dazu führen, dass sich der Druck auf den Aussteiger verstärkt und sich die Situation evtl. soweit zuzieht, dass er es zu diesem Zeitpunkt aufgrund dessen nicht wagen kann, einen aktiven Ausstiegsversuch zu starten.

Ein Aussteiger hat durch eine Aussage oder ein konkretes Verhalten deutlich gemacht, dass er dabei ist, auszusteigen.

Wer unbedingt aussteigen möchte, muss früher oder später damit beginnen, sich Hilfe zu holen und sich aktiv von der Gruppe zu lösen.

Das bedeutet, dass es im Verlauf eines Ausstiegs irgendwann den Punkt gibt, an dem auch nach Aussen hin offenkundig wird, dass eine Person die Absicht hat jetzt auszusteigen.

Dies kann durch eine Äusserung des Aussteigers geschehen, durch eine Beobachtung eines Gruppenmitgliedes, die darauf hinweist, dass der Aussteiger Vorbereitungen trifft, die ihm in seinem Ausstieg weiterbringen würden, oder auch die Entdeckung, dass der Aussteiger zu Hilfsorganisationen Kontakt aufnimmt, einen Umzug oder eine Anzeigenerstattung vorbereitet, usw. Es kann aber auch eine spontane Auseinandersetzung gegeben haben, durch die nun alle Wissen, dass eine Person gerade versucht auszusteigen.

Ebenso kann es vorkommen, dass Personen, die schon längere Zeit um einen aktiven Ausstieg bemüht sind und Hilfsangebote in Anspruch genommen haben, durch einen ausschlaggebenden Punkt (das Treffen auf eine entscheidende, einflussreiche Hilfsperson oder das konsequente Abbrechen von Täterkontakt, das u.a. auch dazu führt, dass die Gruppenmitglieder nicht wissen, was der Aussteiger jetzt vor hat und somit ein Stück weit die Kontrolle über die Situation verlieren oder nun eine Anzeigenerstattung befürchtet wird.

Möglicherweise ist gerade der Moment, indem die Ausstiegsabsichten eines Aussteigers offensichtlich werden, mit der heikelste Punkt im Ausstiegsverlauf.

Und um diesen Punkt kommt niemand herum, der ernsthaft aussteigen möchte, denn ohne ein konsequentes Sich- Herausbewegen, ohne aktive Schritte des Sich- in- Sicherheit- Bringens und Entfernens von der Gruppierung ist ein Ausstieg schlichtweg nicht möglich.

Man kann teilweise seine Ausstiegsabsichten eine zeitlang verbergen und verstecken, doch wer weiterkommen will, muss irgendwann einen nächsten Schritt wagen, um seine Ausstiegsziele auch erreichen zu können, und das wird dann für alle sichtbar und birgt ein Risiko, denn nun ist die Gruppierung dazu gezwungen, auf diesen Ausstiegsversuch zu reagieren, um die Gruppenaktivitäten- und ziele sowie einzelne Täter zu schützen, um die Geheimhaltung von relevanten Informationen zu wahren, um andere Mitglieder zu warnen und weitere Aussteiger abzuschrecken, damit sie nicht auch noch auf den Gedanken kommen, auszusteigen und um ganz gezielt den jetzigen Aussteiger an seinem Ausstieg zu hindern oder es ihm zumindest so schwer wie möglich zu machen und wenigstens den weiteren Verlauf im Sinne der Gruppe zu lenken.

Deshalb ist es klug, sich als Aussteiger mit eben diesem kritischen Moment auseinander zu setzen und das möglichst bevor die Gruppenmitglieder durch einen aktiven, offensichtlichen Ausstiegsversuch erfahren. Wie würden die Gruppenmitglieder auf Dein Vorhaben reagieren? Wie weit würden sie gehen, um Dich zu stoppen? Was dürfte auf gar keinen Fall passieren und wie kannst Du Dich bestmöglichst absichern, damit Du lebend und weitestgehend unbeschadet Deinen Ausstieg fortsetzen kannst?

Für Hilfspersonen macht es Sinn, sich mit den Verhaltensweisen und Methoden der Tätergruppierung auseinander zu setzen und zu lernen, Risiken und Gefahren sowie bedrohliche Situationen und Nachstellungen (und die Gründe hierfür) richtig einordnen zu können und dementsprechend die Hilfsangebote und Impulse in der Ausstiegsbegleitung abzustimmen.

Wenn es eine realistische Gefährdung einer Person gibt, sollte für Schutzmassnahmen gesorgt werden und im Gespräch die Gefahrenquellen besprochen werden. Handelt es sich hingegen um einen Einschüchterungsversuch, der Angst ausgelöst hat und darauf abzielt, den Aussteiger in seinem Handeln zu stoppen, dann ist dies zwar auch unangenehm und bedrohlich, doch existiert in diesem Moment keine akute (Lebens-) Gefahr und somit sind hier andere Hilfsmassnahmen angeraten.

Die korrekte Einschätzung einer Situation, das Wissen um solche Entwicklungen und die Ansprache von Bedrohungen und Gefahren sowie den richtigen Impuls zur richtigen Zeit zu setzen, kann dem Aussteiger in dieser schwierigen Situation entscheidend weiterhelfen.

Es gibt eine andere Person, die zeitgleich versucht, auszusteigen.

Eine Situation kann sich ebenso dadurch verschärfen, dass zeitgleich zu dem Ausstiegsversuch des einen Aussteigers eine weitere Person beginnt, sich dort heraus zu arbeiten und Hilfe zu holen. Dies kann eine destruktive Gruppierung reichlich durcheinander bringen. Denn mit jedem Aussteiger gerät irgendwie das System an sich in Gefahr bzw. wird zumindest hinterfragt und auf die Probe gestellt, und zwei Aussteiger zur selben Zeit können sehr ungünstig auf das Gruppengeschehen wirken.

Insbesondere dann, wenn sich die beiden Aussteiger kennen und voneinander wissen, ergibt sich aus Sicht der Gruppierung ein erhöhtes Risiko, denn wenn zwei Personen zeitgleich unabhängig voneinander dasselbe berichten und sich an Aussenstehende wenden, dann erhöht das die Glaubwürdigkeit der Schilderungen von den Betroffenen.

Dies könnte dazu führen, dass Aussenstehende die Schilderungen ernster nehmen und nun eine gewisse Aufmerksamkeit auf Personen, Orte und Methoden gerichtet wird. Doch die grösste Gefahr bringt natürlich das Einschalten von Behörden (Jugendamt, Ermittler…) und die Einleitung einer eingehenden Untersuchung des Falles mit sich.

Das kann wiederum dazu führen, dass sich das Bedrohungsszenario auf die Aussteiger und auch die Gefährdung enorm erhöhen kann und hier wäre in manchen Situationen sogar eine Lebensgefahr denkbar.

Wenn ein Aussteiger nicht darüber informiert ist, dass es eine weitere Person gibt, die zeitgleich aussteigt oder gegen den Täterkreis vorgeht, kann u.U. auch mit einem relativ harmlosen Ausstiegsversuch plötzlich in Lebensgefahr sein und gar nicht wissen, warum. Andererseits kann es durchaus hilfreich und unterstützend sein, wenn weitere Personen zu diesem Zeitpunkt aussteigen möchten und es somit mehrere Menschen gibt, die ähnliche Ziele verfolgen und Informationen nach Aussen tragen.

In einem aktuellen Ermittlungsverfahren wurde der Aussteiger als Zeuge benannt.

Jede Person, die Insiderwissen hat, kann prinzipell zu jedem Zeitpunkt ihres Lebens als Zeuge von einer anderen Person benannt werden und hierdurch selbst plötzlich wieder Bedrohungen durch die Gruppierung erleben. Dies trifft insbesondere auf Personen zu, die sich innerlich von der Gruppierung distanziert haben, die schon zu früheren Zeitpunkten widerspenstisch waren und Gruppenregeln in Frage stellten und von denen man weiss, dass sie aktiv ausgestiegen sind. Weiter werden wohl eher Personen als Zeugen benannt, die innerhalb der Gruppierung eine Opferrolle oder die Rolle eines Mittäters/ eines „schwächeren“ Gruppenmitgliedes innehatten.

Selbst dann, wenn eine Person bereits jahrelang keine Nachstellungen mehr erlebte und erfolgreich ausgestiegen ist oder der Gruppierung versicherte, dass über die Gruppeninterna zeitlebens geschwiegen wird, kann sich diese Situation mit der Benennung als Zeuge schlagartig ändern, so dass die Gruppierung plötzlich auftaucht und diese Person unter Druck setzt, bedroht und im schlimmsten Fall sogar das Leben dieser Person bedroht ist.

Spontane Entwicklungen, die die Aktivitäten der Gruppe gefährden, wie z.B.:

– Ein Drogenlager/ Versteck wird zufällig entdeckt.
– Ein Gruppenmitglied fliegt auf oder es wird aus sonstigen Gründen polizeilich beobachtet, ermittelt, verhaftet.
– Gesetzliche Veränderungen führen zu einer „Zuspitzung“ der Situation.

Kriminelle Gruppenmitglieder üben kriminelle Handlungen aus. Je nach Ausrichtung der Gruppierung variieren diese kriminellen Aktivitäten. Droht nun eine dieser kriminellen Aktivitäten nach Aussen hin sichtbar zu werden, ist somit die Gruppierung in Gefahr. Denn eine Verhaftung eines Gruppenmitgliedes kann weitere Kreise ziehen und es könnten Spuren zu weiteren Gruppenmitgliedern führen. Die Entdeckung eines Drogenlagers wirft weitere Fragen auf und bietet den Ermittlern eine Grundlage für nachfolgende Ermittlungsmassnahmen.

Da es hier also nicht nur um den Schutz einzelner Personen geht, sondern auch um den Schutz der Gruppe an sich sowie um die Vermeidung von materiellen und finanziellen Verlusten und um den Schutz der Geschäftspartner, wird auf diese Punkte eine besondere Aufmerksamkeit gelegt. Dies führt dazu, dass bei einer Bedrohung dieser Punkte härter durchgegriffen wird und Bestrafungsmassnahmen erfolgen.

Sollte einer dieser Punkte zutreffend sein, ist es durchaus denkbar, dass ein Aussteiger massiv bedrängt und bedroht wird, auch wenn er selbst nichts mit der Situation an sich zu tun hat und in diesem Fall nicht der Informant war. Doch er trägt dieses Insiderwissen in sich und sollte er sich gerade jetzt an einen Aussenstehenden wenden, wäre das Risiko für die Gruppe möglicherweise höher als zu anderen Zeiten und somit kann das dazu führen, dass nun eine harte und umkämpfte Phase auf den Aussteiger zu kommt.

Die persönliche Haltung bzw. die Fähigkeiten eines Aussteigers

– Möchte die Person alleine aussteigen oder versucht sie auch andere mit raus zu ziehen?
– Wird diese Person über ihr Insiderwissen schweigen oder sie hat vor, dies an andere weiterzugeben?
– Bringt diese Person Eigenschaften mit wie Überzeugungsfähigkeit, Glaubwürdigkeit, berufliche Qualifikationen ober Beweismittel?

Immer dann, wenn einer kriminellen Gruppierung die Offenlegung ihrer kriminellen Handlungen und Methoden droht und sie dadurch an Macht und Sicherheit verliert, steigt das Risiko für die Personen, die massgeblich hierzu beitragen.

Ein Aussteiger, der entschlossen gegen den Täterkreis vorgeht, der Insiderwissen an andere weitergibt und versucht weiteren Betroffenen bei einem Ausstieg zu helfen, ist für die Gruppierung gefährlicher und unbequemer als jemand, der im Stillen und allein aussteigen möchte und keinerlei Versuche unternimmt, sich nach Aussen zu wenden.

Solche Aussteiger, die also eine Vorbildfunktion für andere haben und offensiver mit ihrem Ausstieg bzw. ihrem Wissen umgehen, sind somit grösseren Risiken und stärkeren Bedrohungs- und Bestrafungsmassnahmen ausgesetzt, als andere Personen.

Und ich denke, dies ist wichtig zu berücksichtigen:
für Aussteiger und Helfer, um zu verstehen, weshalb jemand so sehr unter Beschuss steht, weshalb die Nachstellungen über einen längeren Zeitraum anhalten und zur Entwicklung von Hilfsmassnahmen.

Wie reagieren Gruppenmitglieder auf diese Situationen?

Die folgenden Reaktionen sollen einige Methoden aufzeigen, wie Täter auf die Ausstiegsversuche und Risiko- Situationen reagieren können. Diese Reaktionen können unabhängig voneinander, aber auch aufeinander aufbauend erfolgen:

Psychische und emotionale Einflussnahme

Insbesondere bei einer anfänglichen (innerlichen) Distanzierung einer Person haben die Gruppenmitglieder gute Chancen über Gespräche und den persönlichen Kontakt in die weitere Entwicklung einzugreifen. Zu diesem Zeitpunkt befindet sich die Person noch innerhalb der Gruppierung und die Nähe zu dem Täterkreis sowie die regelmässigen Begegnungen sorgen für einen Kontrollrahmen. Ebenso lassen sich hier noch leichter gedankliche Zweifel an Unsicherheiten und Gedanken über einen Ausstiegserfolg säen, so dass sich eine distanzierte Haltung hierüber wieder kippen lässt. Weiter entsteht meistens auch eine emotionale Abhängigkeit und ein Zugehörigkeitsempfinden, wodurch sich ein weiteres Mitmachen und Dabei- Bleiben einstellen kann.

Je nach Gruppierung werden besondere psychische Kontrollmechanismen mit einbezogen (emotionale Erpressungen, Double- Bind- Situationen, Mind- Control…), um die Gruppenideologie und die Loyalität zur Gruppierung zu stärken und die Gruppenmitglieder somit im System gefangen halten zu können.

Anbieten von Aufstiegsmöglichkeiten und materiellen Mitteln

Ist jemand durch Argumente und Gespräche, durch emotionale und psychische Einwirkung sowie durch kontrollierendes Verhalten nicht mehr in der Gruppe zu halten, wird manchmal versucht, über gewisse „Lockmittel“ eine Person zum Bleiben und Mitmachen zu bewegen. Dies kann die Darbietung von finanziellen und materiellen Mitteln sein oder das Angebot von mehr Macht und einer höheren Position innerhalb der Gruppierung.

Es wird also versucht, positive Anreize zum Bleiben zu schaffen und die Person über einen Profit von der Gruppierung tiefer in die Gruppenstruktur einzubinden.

Diese Variante mag sich auf den ersten Blick harmloser anhören, als die Darbietung von Druckmitteln, doch wer sich eingehender mit solchen Gruppenhierarchien und den Tricks der Täter auseinander setzt, wird sehr bald feststellen, dass diese Variante einen Menschen auch nachhaltig an die Gruppierung binden kann und es mitunter sehr kompliziert werden kann, sich aus den Fängen dieser „Profit- Methode“ wieder heraus zu winden.

Druckverstärkung, Einschüchterungsversuche und Bedrohungen

Im Ausstiegsprozess können den Aussteiger eine Vielzahl an Widerständen, schwierigen Situationen und ernsthaften Bedrohungen erwarten. Dies muss nicht zwangsläufig so sein, doch leider können viele Aussteiger „ein Lied davon singen“, wie sehr sie attackiert, bedrängt und bedroht wurden, nur weil sie sich von dieser Gruppe entfernten.

Manchmal dienen solche Attacken lediglich der Abschreckung und sollen den Aussteiger entmutigen, entkräften und isolieren. Manchmal werden andere Ziele verfolgt.

Ebenso werden Aktionen gegen einen Aussteiger unterschiedlich eingesetzt. So kann es z.B. verdeckte Drohungen geben (durch gruppeninterne Symbole), aber auch offensichtlichere Angriffe.

Hilfreich ist es für Helfer, sich mit den gruppenüblichen Methoden auseinander zu setzen und dieses Wissen im Gespräch mit dem Aussteiger einzubringen. Wer weiss, welche Bedeutung ein bestimmtes Verhalten hat und wie eine Drohung einzuordnen ist bzw. aus welchem Grund etwas gerade geschieht, kann leichter einen effektiven Umgang hiermit finden.

Für Aussteiger ist es daher wichtig, die Situationen und Signale wahrzunehmen, zu erkennen, welche Zusammenhänge es zwischen einem Verhalten und einer Reaktion/ Situation gibt und die Methoden und die Absichten der Täter zu entlarven.

Dadurch verlieren einige Aktionen ihre Macht und können ins Leere laufen bzw. die Handlungsfähigkeit und das Entstehen von Gegenmassnahmen/ Schutzmassnahmen kann gelingen.

Wer weiss, welche Drohung oder welcher Erpressungsversuch auf welche Weise wirkt, hat bessere Chancen sich zu schützen und angemessen mit dieser Situation umzugehen, als jemand, der sich hierüber noch keine Gedanken gemacht hat.

Gewaltausübungen und offene oder verdeckte Angriffe und Nachstellungen

Je nach Täterkreis hat man es manchmal mit Schwerkriminellen zu tun, die alles andere als zimperlich mit einem Risikofaktor umgehen. So ist es durchaus möglich, dass es Betroffene gibt, die punktuell auch mal körperlich eingeschüchtert, bedroht oder angegriffen werden. Dies kommt nicht in jedem Fall vor, doch es gibt leider Fälle, bei denen es zu körperlichen Sanktionen durch eine Gruppierung kam.

Eine Vielzahl an Angriffen und „Rückhol- Aktionen“ verläuft allerdings harmloser und weitestgehend verbal ab.

Manche Gruppierungen arbeiten gerne mit Gruppengeboten und Gruppenverboten und setzen einen Aussteiger psychisch unter Druck, wenn er gegen die Gruppenregeln verstösst.

Manchmal wird ein Aussteiger verbal angegriffen, in dem sein Umfeld durch verbale Aussagen verunsichert wird, eine „Üble- Nachrede- Kampagne“ gestartet wird oder eine Mobbingsituation hergestellt wird, was es dem Aussteiger unmöglich machen soll, Verbündete und Unterstützung in seinem unmittelbaren Umfeld zu erlangen. Hierdurch wird seine Position geschwächt, er wird in Isolation gehalten und psychisch angegriffen. Schliesslich leidet unter solchen Aktionen das Ansehen und die Glaubwürdigkeit dieser Person, was dem Täterkreis wiederum zu Gute kommt.

Viele Aktionen und Nachstellungen laufen subtil ab und können dennoch auf Dauer sehr belastend werden. Wenn z.B. die Post eines Aussteigers immer mal wieder abgefangen wird und er deshalb Fristen nicht einhält oder unzuverlässig erscheint, weil eine Antwort nicht erfolgte, so kann dies sehr hinderlich sein und dazu führen, dass der Aussteiger sich immer wieder neue Lösungen für solche Attacken überlegen muss. Wird der Aussteiger von Gruppenmitgliedern gestalkt, in dem sie immer wieder in dem näheren Umfeld des Aussteigers auftauchen und (telefonische) Botschaften hinterlassen, wird dies oftmals als Belastung erlebt und bringt Betroffene und Helfer manchmal an Grenzen.

Die Versuche von Gruppenmitgliedern einen Ausstiegsversuch zu unterbinden und es den Aussteigern so schwer wie möglich zu machen, sind so zahlreich, dass ich hier nur eine kleine Auswahl angesprochen habe. Doch die Wirkung solcher Massnahmen kann für Betroffene sehr zermürbend sein und es scheint hier bei uns in Deutschland wenig Möglichkeiten zu geben, sich effektiv gegen solche Verhaltensweisen zur Wehr zu setzen, insbesondere strafrechtlich betrachtet, weil unsere Gesetzgebung (wie z.B. das Stalking- Gesetz) eher auf einzelne Täter ausgerichtet ist und nicht auf die Nachstellungen und Bedrohungen durch destruktive Gruppierungen und Verbrechernetzwerke.

Was kann helfen?

Wie können wir hier in Deutschland Abhilfe schaffen und Menschen unterstützen, die sich aus einem gewaltvollen System befreien wollen?

 

Wir sollten anfangen über Ausstiegsprozesse und Nachstellungen zu sprechen:

Ich denke, dass ein kluger erster Schritt darin liegt, über die Situation von Aussteigern zu sprechen und die Tätermethoden offenzulegen. Es ist gut, den ganz normalen deutschen Bürgern, wie auch professionellen Helfern nähere Informationen über Ausstiegsprozesse, über Schwierigkeiten und Lösungsansätze zukommen zu lassen, damit wir alle hierüber aufgeklärt werden, anfangen über Verbesserungen nachzudenken und im Austausch miteinander bleiben.

Denn wenn es uns gelingt, diese Thematik offen zu diskutieren, werden einige Tätermethoden alleine dadurch schon hinfällig und können nicht (unbemerkt) weiter genutzt werden. Ausserdem kann im Zusammenschluss mehrerer Personen und Organisationen an effektiven Hilfs- und Schutzmassnahmen gearbeitet werden.

Ich würde mich also sehr darüber freuen, wenn das Interesse an der Thematik des Ausstiegs und der aktuellen Lage in Deutschland zunehmen würde und wenn der Medienbereich ebenfalls vermehrt über Ausstiegsverläufe berichten könnte.

Informationen für einfache Bürger, für betroffene Personen und ihre Helfer bereit stellen:

Wer gut informiert ist, kann auch gut mit Situationen und Reaktionen umgehen. Der weiss sich zu wehren und hat bessere Möglichkeiten seine Rechte zu schützen, hilfreiche Möglichkeiten zu nutzen und seine Ziele zu erreichen.

Ein Aussteiger, der sich aus einem gewaltvollen System heraus bewegt, hat es mit mehreren Gegenspielern zu tun. Das ist eine schwierige Situation.

Ein Ausstieg ist eine mühsame Angelegenheit, die sich durch alle Lebensbereiche durchzieht.

Deshalb ist es schön, wenn einfache Bürger durch Informationen und durch ein Mitwissen um die Problematik anfangen können, sich auf die Seite der Aussteiger zu stellen und die Ziele der Aussteiger durch ihr Interesse und ihr Nachfragen bekräftigen.

Solange das Thema Ausstieg, Nachstellungen und Tätergruppierungen in Deutschland an den Rand gedrängt wird und „tot geschwiegen“ wird, lassen sich hier nur sehr schwer Verbesserungen für unmittelbar betroffene Menschen sowie für unsere Gesamtbevölkerung schaffen.

Das zunehmende Interesse von deutschen Mitbürgern, das Wissen über Einzelfälle und die Stellungnahme von Fachpersonen, die aufmerksame Beobachtung von Verhaltensweisen und Situationen sowie das Verstehen der Zusammenhängen von Ausstiegsbemühungen und Aktivitäten des Täterkreises wird dazu beitragen, dass in Deutschland Täter entlarvt und einzelne Personen und Aussteiger geschützt werden.

Ihre Fragen, ihre Aufmerksamkeit, Ihre kritische Beobachtung und Ihr Interesse kann dazu führen, dass Straftaten vereitelt werden und sich die Täter zurück ziehen müssen.

Doch nicht nur der „Normalbürger“ sollte gut informiert sein, sondern auch Helfer und Fachpersonen. Derzeit gibt es in Deutschland flächendeckend zu wenig geschultes Personal, das sich mit Verbrechernetzwerken hier in Deutschland auskennt.

Glücklicherweise gibt es jedoch gleichzeitig die Bereitschaft von vielen Menschen, sich hiermit auseinander zu setzen und dazu lernen zu wollen. Doch gerade in dem Bereich der Ausstiegsberatung und der Ausstiegshilfen haben wir noch viel zu tun, denn es fehlt sowohl an gut geschultem Personal, wie auch an Hilfsangeboten. Um eine effektive Ausstiegsbegleitung anbieten zu können, benötigen wir mehr spezifisch- ausgebildetes Personal und ich freue mich sehr darüber, dass es inzwischen einige Weiterbildungsmöglichkeiten in diesem Bereich gibt und hoffe, dass sich viele Helfer dazu entschliessen, mit dieser wichtigen Arbeit anzufangen und betroffenen Personen zur Seite zu stehen.

Ermittler sollten speziell über Tätermethoden und Bedrohungen im Ausstieg geschult werden:

Die Diskussion innerhalb unserer Gesellschaft und die Schaffung von weiteren Hilfsangeboten sollte gerade in diesem Bereich durch geschulte Ermittler unterstützt werden. Bei kriminellen Gruppierungen handelt es sich nun mal um kriminelle Handlungen, die begangen werden und die also auch strafrechtlich verfolgt und gemassregelt werden sollten.

Kriminologen und Psychologen haben bereits ein gut fundiertes Fachwissen und können Laien, Helfern und Betroffenen gute Handlungsanweisungen und Einschätzungen des Gefahrenpotentials von bestimmten Situationen liefern. Somit wäre es hilfreich, ein Beratungsangebot zu Risiken, Gefahren und Schutzmassnahmen anzubieten.

Ebenso wäre es schön, wenn der Zeugen- und Opferschutz verbessert und verstärkt werden könnte.

Wir benötigen einige Gesetzesänderungen, damit das Verhalten solcher Gruppierungen frühzeitiger erkannt, bestraft und gestoppt werden kann und Aussteiger durch ein gut durchdachtes Hilfsangebot unterstützt werden:

Seit der Aufdeckung der Missbrauchsskandale von 2010 hat es in Deutschland eine Vielzahl von Verbesserungen und Neuerungen für Gewalt- und Missbrauchsopfer gegeben. Diese Entwicklung erfreut mich sehr.

Doch an dieser Stelle möchte ich ausdrücklich darauf hinweisen, dass Gesetze und Hilfsangebote für Menschen, die durch einen Täter Gewalt erleben mussten, nicht ausreichend sind für Pesonen, die durch mehrere Täter und durch Gruppierungen zum Opfer wurden. Ja, es gibt Gemeinsamkeiten und Angebote, die beiden Gewaltopfern helfen und gerecht werden, doch es gibt auch Unterschiede, die spezielle Massnahmen, ein fachspezifisches Wissen und neue Handlungsweisen und Gesetzesänderungen erforderlich machen.

Weiter oben erwähnte ich z.B. die aktuellen Stalking- Gesetze, die der Situation eines Aussteigers leider nicht gerecht werden, da sie eher auf Einzeltäter ausgerichtet sind und nicht der Situation, Nachstellungen und Bedrohungen von MEHREREN TÄTERN ausgesetzt zu sein. Dies ist lediglich ein Beispiel, wo es schön wäre, wenn sich hier Menschen zusammen tun würden, um einen Gesetzesentwurf auszuarbeiten, der die Situation von Aussteigern aus destruktiven Gruppensystemen mit einbezieht.

Ein anderes Beispiel ist das Fehlen von Schutzhäusern mit speziell ausgebildetem Personal. Die bestehenden Frauenhäuser sind auf familiäre Misshandlungsfälle ausgerichtet und gehen also in der Regel von der Gewalt eines Einzelnen aus. Dementsprechend gestaltet sich das Hilfsangebot und die Finanzierung.

Wie kann es nun gelingen, für Aussteiger aus Verbrechernetzwerken eine geschützte Anlaufstelle und einen vorübergehenden Schutzwohnraum zu schaffen, damit betroffene Menschen Gewaltattacken entkommen können und ihren Ausstiegsweg geschützt fortsetzen können?

Wer sich intensiver mit den Bedrohungsarten und Ausstiegsverläufen beschäftigt hat, weiss, dass Schutzmöglichkeiten dringend erforderlich sind und eine effektive Ausstiegshilfe bieten.

Wenn viele Menschen beginnen, mitzudenken und mitzuhelfen,
kann sich bald die Situation für Aussteiger massgeblich verbessern.

Und das würde ich mir für Betroffene und ihre Helfer sehr wünschen, aber auch gesamtgesellschaftlich würde dies mehrere Vorteile bieten:

Denn wer Aussteiger unterstützt, unterstützt Menschen, die sich für unsere Grundrechte einsetzen und die sich gegen Gewalt und gegen die Ausübung von Straftaten gestellt haben. Somit wird die Verbrechensaufklärung erhöht und die Straftaten können eingeschränkt werden. Ihr Interesse, Ihre Mithilfe kann unserer Gesellschaft zu Gute kommen!!!

Bitte werden auch Sie aktiv!!! Bitte helfen Sie mit!!!

Mit vielen freundlichen Grüßen,

Vanessa Lehmann

Hamburg im Janaur 2015

veröffentlicht am 21.01.2015